Zum ersten Band „Verdammt, verbannt“ folgt hier noch die informative Besprechung von Kurt Schnidrig:
Ein Sittengemälde des frühen Wallis
Kurt Studer: Verdammt, Verbannt. Perren-Schlegel-Saga Band 1. Antium, Wangen 2019, 375 Seiten.
Der Autor hat eine tragische Liebesgeschichte aus dem Wallis des frühen 20. Jahrhunderts recherchiert und diese eingebettet in die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie sich vor hundert Jahren präsentierten. Entstanden ist ein Sittenbild des frühen Wallis, das der Leserschaft einen Einblick verschafft in eine Zeit, in der Werte wie Moral, Standesdenken und überkommene Familientraditionen höher gewichtet wurden als eine aufblühende Liebe.
Das Liebespaar Luise und Johann, die beiden Protagonisten im Roman, dürfen aus Sicht der damaligen Gesellschaft nicht zusammenkommen. Ein für damalige Vorstellungen allzu grosser Altersunterschied trennt die Beiden. Als sich dann noch ein uneheliches Kind einstellt, ist das Tuch zwischen den Liebenden und ihren Familien zerschnitten. Der Autor versteht es, seine Leserinnen und Lesern mit den damaligen Verhältnissen und Gegebenheiten vertraut zu machen. Die Geschichte ist argumentativ und auf dem Hintergrund des aufwändig recherchierten Geschehens stimmig und glaubwürdig.
Für die Glaubwürdigkeit des Erzählten bürgen Zeitzeugen, die der Autor geschickt ins Geschehen holt. Als Vermittlerin bietet sich die Zeitung an, der Luise beispielsweise entnehmen kann, dass sich der Konflikt zwischen der österreichisch-ungarischen Monarchie und Serbien verhärtet hat. Als Folge davon ordnet der Stadtweibel von Sitten auf der Place du Midi die Mobilmachung der gesamten Armee an. Zusammen mit den Jubiläumsfeierlichkeiten rund um den Beitritt des Wallis bettet der Autor die Tragödie ein in einen spektakulären historischen Rahmen.
Die junge Liebe zwischen dem 28-jährigen Johann Schlegel aus Flums und der um 14 Jahre älteren Luise aus Sitten trägt den Nimbus des Verhängnisvollen in sich. Die psychologische Grundlegung dieser unheilvollen Beziehung verpackt der Autor in lebensechte Dialoge. Luises Schwester ahnt die Katastrophe voraus, indem sie Luise vor dem „gefährlichen Spiel mit dem Feuer“ warnt. Als Luise von Johann ein Kind erwartet, treten die schlimmsten Befürchtungen ein. Da die Liebenden über zu wenig Geld verfügen, kommt eine kurzfristige Heirat nicht in Frage.
Aus Leserperspektive legt der Autor spannungsfördernd auch irreführende Fährten, insbesondere durch das Kunstmittel der traumhaften Vorausdeutung. In einem lieblichen Traum, der sich mehrmals wiederholt, erscheint Johann verschiedentlich eine liebliche Traumfrau. Vor der dramatischen Geburt driften die träumerischen Prophezeiungen jedoch ab ins Albtraumhafte.
Studers Roman hält kein versöhnliches Ende bereit. Aus Leserperspektive ist dies konsequent und nachvollziehbar. Die Liebenden tragen schwer an ihrer Schuld. Berührt und betroffen erhofft sich der Leser eine Fortsetzung. Aufgrund der minutiös recherchierten Fakten, des umfangreichen Stoffplans und des weitläufig angelegten Roman-Konstrukts drängt sich ein Fortschreiben der Familiensaga auf. Die romanimmanente Fiktion dürfte dabei auf der Suche nach glaubwürdigen Auswegen aus der verfahrenen Situation der Liebenden in der Folgegeschichte noch vermehrt zum Zuge kommen. Autobiographische Einsprengsel des weitgereisten und lebenserfahrenen Autors könnten bei diesem Vorhaben wertvollen Sukkurs bieten.
Kurt Schnidrig, Germanist und rro-Literaturexperte
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